Dem EPD fehlt die Patientenverfügung
- Benjamin
- 25. März
- 4 Min. Lesezeit
Wäre das elektronische Patientendossier (EPD) der Schweiz eine Person, würde man zumindest darüber diskutieren, die lebenserhaltenden Massnahmen abzuschalten.

Die Geburtsstunde des elektronischen Patientendossiers jährt sich bald zum achten mal. Am 15. April 2017 trat das entsprechende Bundesgesetz in Kraft. Damals ahnten wohl nur wenige, was daraus wird.
Mir wurde kurz vor Weihnachten 2019 so richtig bewusst, was da auf das Gesundheitswesen zukommt und wie wenig es in der vorliegenden Form bringen würde. Seither darf ich regelmässig zusehen, wie der Apparat Unmengen an Gelder und Nerven verschlingt. Warum weder eine Nachfinanzierung, noch eine Charm Offensive oder besserer Zugang für die Bevölkerung daran etwas ändern.
Gute Idee mit falscher Grundlage
Ich weiss heute noch nicht, was wirklich die Grundidee hinter dem EPD ist bzw. zu beginn war. Ist es nun das viel propagierte Instrument für die Bürgerin, ihre Gesundheitsdaten zentral abrufen und verwalten zu können oder soll es den Leistungserbringern helfen besser zusammenzuarbeiten? Beides zusammen geht nicht.
Wenn ich das Gesetz und die Verordnung richtig verstehe, so sind diese eher auf Variante 1 (Instrument für die Bürger) ausgelegt. Diese sollen selber entscheiden, wer ihre Gesundheitsdaten sehen kann und wer nicht. Das führt dazu, dass viel Geld in mehr oder weniger clevere Berechtigungsmechanismen investiert werden mussten und vor allem führt es dazu, dass die Leistungserbringer nie mit Sicherheit wissen können, ob sie denn nun alle Daten haben oder nicht.
Zudem wurden aus Angst vor einem Referendum 2017 die Hausärzte ausgeschlossen. Sie konnten sich freiwillig dem EPD anschliessen. Ausgerechnet dort, wo die meisten Daten entstehen.
Ich glaube aber, dass den Initianten dieser Vorlage schon eher die Variante 2 vorschwebte: eine Entlastung des Gesundheitswesens. Dazu müssten aber die Daten einfacher zur Verfügung stehen und halt auch offener. Das wiederum ist in der Schweiz schon beinahe undenkbar. Zu sehr hängen wir an unseren Daten und haben Angst, dass diese ausgenutzt werden. Und das obwohl wir nur allzu häufig bereitwillig unsere Daten an Grosskonzerne wie Google, Meta, Apple, Microsoft und Co. abgeben.
Teilen und (vergiss es zu) Herrschen
Die Schweiz ist klein und doch Weltmeister darin, es unnötig kompliziert zu machen. 26 Kantone können sich unmöglich auf einen Betreiber einigen und eine zentrale Verwaltung ist viel zu Mächtig. Also braucht es Stammgemeinschaften, die alle genau die selben Regulatorien umsetzen und sich einen Integrator suchen müssen.
Aber das ist alles kein Problem, da die Interoperabilität gemäss Gesetz vorgegeben ist und umgesetzt werden muss. Das kostet aber wieder unnötig viel Geld. Statt also auf ein System zu setzen, werden vier umgesetzt mit neun Stammgemeinschaften. Der grosse Gewinner: die Zertifizierungsstelle. Millionen von Schweizer Franken wandern dorthin, statt in die Grundversorgung oder in die medizinische Forschung.
Auch wird es zunehmend undurchsichtig, wer sich jetzt wo angehängt hat und wo denn nun ein Dossier eröffnet werden kann. Ganz zu schweigen davon, dass es so unmöglich wird das Gesundheitssystem zu entlasten. Im Gegenteil: die Kosten für die Mitgliedschaft einer Stammgemeinschaft sind hoch. Damit ist noch nichts gewonnen - kein Dossier wird dadurch erreichbar. Dazu braucht es noch Identifikatoren, Prozessanpassungen und Schulungen. Alles Beträge, die auch in keiner der bisherigen Kostenschätzungen des EPD einfliessen.
Alle machen das selbe und jeder macht es nochmal.
Belastung statt Entlastung
Die Fehler wurden erkannt und sollen nun korrigiert werden. Statt Opt-in soll nun Opt-Out gelten für die Bevölkerung und die Hausärzte werden gezwungen mitzumachen. Das korrigiert aber nicht die Schwerfälligkeit aufgrund der Verzettelung oder die Problematik, dass kein einziger Prozess im Gesundheitswesen verbessert wird.
Die Institutionen ächzen unter den Kosten - und ja die sind auch selbstgemacht - aber es bräuchte nicht noch eine unnötige finanzielle und personelle Belastung durch ein EPD, welches seit Jahren nur noch am Tropf des Steuerzahler hängt.
Die Lebensverlängernden Massnahmen werden nicht helfen, sondern zögern das unausweichliche nur hinaus. Wir werden noch Jahrelang Steuergelder verpulvern, statt endlich nach neuen und besseren Lösungen im Gesundheitswesen zu suchen. Jeder eingesetzte Franken im EPD fehlt andernorts.
Gemäss Artikel auf Inside-it.ch kostet das EPD aktuell jährlich 60 Millionen Franken. Im Verhältnis zu den Gesundheitskosten von unterdessen mehr als 100 Milliarden Franken, scheint dies schon beinahe wieder ein lächerlicher Betrag zu sein (Quelle: srf.ch). Wenn ich das richtig verstanden habe, sind in den 60 Millionen Franken nur die direkten Kosten des Bundes enthalten, nicht aber all die Kosten, welche bei den jeweiligen Leistungserbringern anfallen.
Ein Beispiel: jedes Pflegeheim muss sich dem EPD anschliessen. Curaviva Schweiz rechnet mit einmaligen Kosten von rund CHF 30'000 und jährlich wiederkehrenden Kosten in ähnlicher Höhe. Bei knapp 1'500 Pflegeheimen Schweizweit sind das einmalig 45 Millionen und wiederkehren nochmals so viel. Ganz zu schweigen, was Spitäler investieren müssen, damit das einigermassen läuft. Die 60 Millionen sind massiv untertrieben.
Die Lösung?
Eine einfache Lösung wird es nicht geben, aber wir sollten nun die lebenserhaltenden Massnahmen für das EPD in der aktuellen Form abschalten.
Wenn die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen wirklich etwas bringen soll, dann muss das zentral geschehen. Das kann ein "Datenraum Schweiz" sein, wie es digisanté andenkt oder eine Datendrehscheibe. Klar ist, es braucht eine Lösung und ob wir das in der Schweiz hinbekommen bin ich nicht sicher. Der Leidensdruck ist scheinbar nicht gross genug, damit wir uns mal zusammenraufen und gemeinsam eine Lösung anstreben.
Aktuell gibt es zu viele Fehlanreize im Schweizer Gesundheitssystem, welche dazu führen, dass einzelne sich bereichern können. Solange die "Kässeli" alle noch klingeln, wird keiner seines aufgeben zu Gunsten der Allgemeinheit.
Comentários